USA-Reisebericht. Autisten-Abenteuerurlaub

Dieses Jahr haben mein Mann und ich uns auf ein besonderes Wagnis eingelassen. Wir haben uns vorgenommen, mit Benedikt, unserem damals noch 15-jährigen autistischen Sohn Florida und die Südstaaten für 21 Tage zu bereisen.
Der Monat August ist zugegebenermaßen kein so günstiger Zeitpunkt, um den Süden der USA zu besuchen, da zu dieser Zeit Regenzeit und damit feucht-heißes Wetter (Temperaturen: um 32 Grad Celsius) herrscht. Terminlich war es aber nicht anders machbar.
Im Vorfeld gab es einiges abzuklären und zu organisieren. Bei regelmäßiger, notwendiger Medikamenteneinnahme benötigt man bei der Einreise in die USA eine Verordnung und Notfallverordnung in englischer Sprache (gegebenenfalls zur Vorlage beim Arzt). Bens (Notfall-) Epilepsie- und Schilddrüsenmedikamente packte ich bereits im Vorfeld ein, sowie vom Arzt vorsorglich verschriebene Antibiotika und Schmerzmittel für den Fall des Falles, da sich bei Ben eine Erkältung mit Beteiligung der Ohren anbahnte. Vorsorglich packte ich Bens Schwimmschutz für die Ohren ein und mein Mann den Ohrenschutz für den Flug (z.B. „Sanohra Fly“). Obwohl es in Amerika ein hervorragendes Gesundheitssystem gibt und Medikamente in den einschlägigen Drugstores feilgeboten werden, stellte ich eine eigene detaillierte Reiseapotheke zusammen. Denn ich wollte es vermeiden, erst einen Arzt suchen und diesen dann auch noch für teures Geld konsultieren zu müssen.

Als Ben ärztlicherseits für flugtauglich befunden worden war, stand seinem ersten Langstreckenflug (ca. insgesamt 10 h 30 min) nichts mehr im Wege.
Der Flug selbst war anstrengend, da Ben, obwohl er müde war, partout nicht schlafen wollte. Auch ihn hatte das Reisefieber gepackt. Auf dem Flug wurde es ihm auch nicht langweilig, es war immer etwas geboten: Start und Landung, Essen und Trinken, Musik und Videos. So hat sich mein Mann vorab bemüht, geeignete Sitzplätze reservieren zu lassen.
Da Ben nicht gerade lauffreudig ist, in den Südstaaten erfahrungsgemäß sehr weite Strecken zurückzulegen und hohe Temperaturen zu erwarten sind, nahmen wir sicherheitshalber Bens uralten „Jogger“ mit. In Miami wurde uns dieser leider nicht am Flugzeug wieder ausgehändigt. So wurde uns ersatzweise ein Rollstuhl mit Begleitperson zur Verfügung gestellt, der uns zu einem speziellen Abfertigungsschalter geleitete. Dort mussten wir nicht warten, sondern kamen sofort an die Reihe. Unangenehme Leibesvisitationen blieben Ben erspart. An den Flughäfen wurden wir sehr bevorzugt behandelt, fast wie VIPs.
Bemerkenswert war der überaus freundliche und zuvorkommende Umgang der Amerikaner mit dem autistisch gehandikapten Ben und uns, seinen Angehörigen. Von der amerikanischen Hilfsbereitschaft und dem verständnisvollen Umgang mit uns, könnten sich viele Deutsche eine dicke Scheibe abschneiden. Beispielsweise wurde immer die Lichtschranke von den Mitfahrenden im Aufzug blockiert, so dass wir gut in den Lift einsteigen konnten. Oft bekamen wir den Vortritt und wurden meist bevorzugt behandelt, wurden schneller durchgewinkt bzw. mussten nicht warten, insbesondere an diversen Eintrittsschaltern. Auch musste Ben in manchen Museen gar keinen Eintritt bezahlen z. B. im Coca Cola Museum, Atlanta (Georgia) und in der Stanton Hall, einem Antebellum–Haus, in Natchez (State Mississippi). Eigentlich überall gibt es in öffentlichen Gebäuden geräumige Behindertentoiletten und gut für Rollstühle und Kinderwägen geeignete Rampen. Ich bekam vielfältige Hilfestellungen, z. B. in Pensacola, Florida, als wir zwei Strandtage einlegten. Dort trug mir ein älterer Herr, ein Hüne und ganzer Gentleman, Ben kurzerhand den Sandstrand zum Hotel hinauf, da Ben auf die Toilette musste, aber beim Hochlaufen streikte. Dies soll stellvertretend für so einige schöne Erlebnisse stehen.

Voller Dankbarkeit können wir auf eine rundherum gelungene Reise mit vielen positiven Erfahrungen christlicher Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit zurückblicken. Auch bin ich für die Erkenntnis meines lieben Mannes sehr dankbar, dass man gemeinhin die Anforderungen unterschätzt, die Ben an uns stellt. Im Beisein meiner Großcousine sprach er dieses große Wort gelassen aus: „Man unterschätzt das, was mit Benedikt alles zu tun ist!“ Auch für diese Einsicht bin ich sehr dankbar. Abschließend kann ich nur Mut machen, ein solches Wagnis auf sich zu nehmen. Es kann eine wunderschöne Reise werden, wenn man zusammenhilft und sich gegenseitig unterstützt.

Dr. Sabine Regn-Poertzel

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