Der steinige Weg zur Diagnose

Manchmal werden ich und auch andere betroffene Eltern gefragt, warum die Diagnosestellung „Autismus“ so lange gedauert hat. Leider mussten viele die Erfahrung machen, dass erst nach etlichen Terminen, auch bei namhaften Kapazitäten, dem Autismus-Verdacht nachhaltige Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dabei geht leider viel wertvolle Zeit verloren, in der ich selbst nie aufhörte selbständig zu recherchieren.
Die lange Zeit gängige Auffassung, Autisten seien generell zurückgezogen und würden Körper- und Augenkontakt meiden, hielt die Ärzte zunächst davon ab, für Benedikt die Diagnose „Autismus“ zu stellen. Denn er verhält sich eher distanzlos und schmust gern. So lautete die Diagnose lange Zeit „geistige Behinderung mit autistischen Zügen“. Erst nach mehrfacher Aufforderung meinerseits wurde im Kinderzentrum München endlich eine ausführliche Autismus-Diagnostik gestartet, an deren Ende die eindeutige Autismus-Diagnose stand.

Ist eine Diagnose unbedingt notwendig?
Aus meiner Erfahrung heraus, kann ich nur dafür plädieren, sich um eine Diagnosefindung zu kümmern, da  vor die Therapie, die Götter die Diagnose gesetzt haben. In Benedikts Fall bestätigte sich dieser medizinische Grundsatz sehr deutlich. Erst als er als Kanner-Autist diagnostiziert worden war, konnten wir die Nürnberger Logopädin Frau Schleinich, die viel Erfahrung im Bereich Autismus hat, konsultieren. Obwohl Benedikt von Geburt an immer bei guten Fachleuten in logopädischer Behandlung war, konnte ihm erst nach der Diagnosestellung wirklich gezielt geholfen werden. So wurde er in der Tagesstätte z.B. in der Gestützten Kommunikation gefördert und wir als Eltern in FC-Kursen, u.a. bei Frau Schleinich angeleitet, mit Benedikt gestützt zu kommunizieren , so dass er endlich seine kognitiven Fähigkeiten zum Ausdruck bringen konnte.

Erst mit der Diagnose bekamen wir eine Erzieherin als fachlich qualifizierte Schulbegleiterin, sowie einen Integrationshelfer für die Nachmittagsbetreuung in der Tagesstätte bewilligt. Seitdem läuft die Schul- und Tagesstättenzeit für alle Beteiligten (Lehrer, Schüler und Benedikt) recht gut.
Aus oben genannten Gründen finde ich es eklatant wichtig, sich um die richtige Diagnose zu bemühen.

Zu guter Letzt möchte ich noch auf eines hinweisen: Fachleute, die sich in Theorie und Praxis mit Autismus auskennen und engagiert sind, waren lange Zeit sehr rar! Schulbegleiter, Erzieher, Lehrer und Therapeuten mit Autismus-Kompetenz sollte man wertschätzen, denn sie tragen dazu bei, dass Unterricht gelingen kann und die Autisten in das Gruppengeschehen der Tagesstätten integriert
werden.

Dr. Sabine Regn-Poertzel

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